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Oder doch nicht: Vom Überfluss zum Mangel?

Michael Machatschek anläßlich der Ausstellung „Vom Mangel zum Überfluss: Essen in der bäuerlichen Kultur“ in Nenzing

Fr. 5.9.2008, 20.00 Uhr artenne
Vortrag: Dr. DI Michael Machatscheck

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Nahrhafte Landschaft
Sa. 6.9.2008, 9.00 Uhr ab artenne
Wanderung und Kräutersammlung mit Michael Machatschek

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In oberflächlicher Manier wird heute von der Not unserer Vorgenerationen geredet, um vor allem alle neuen Fortschrittsallüren zu rechtfertigen und um darzulegen, wie gut doch die vielen neuen Errungenschaften der Neuzeit wären. Dabei werden wir mit der Zeit u.a. vom ehemaligen Gebrauchswissen des Kochens zunehmend abgeschnitten. Sind die erprobten Gebräuche im praktischen Leben einmal verloren gegangen, dann wird es schwierig, sie in Zukunft wieder aufzunehmen und zu handhaben. Ohne die Vorzeiten verklären zu wollen, findet man allerdings in der Vergangenheit einen Reichtum an entstammten Wissenszusammenhängen, die alle Mittel des Lebens aus der Natur vorsahen und wofür Arbeit zu investieren war. Im Vergleich zu heute müssen wir für jede Aktivität Geld aufwenden, um eine Bedarfserfüllung zu erzielen. Und in zugespitzter Weise führen wir uns auf, als müssten wir die Butter mit einer Kettensäge schneiden, um sie auf’s Brot zu bringen, weil der Hausverstand abhanden gekommen ist. Wegen jeder Kleinigkeit sitzen wir im Auto, um Erledigungen durchzuführen, alles muss gekauft und bürokratisch verhandelt werden und draußen verfault das Obst von den Bäumen, welche unsere Urgroßeltern gepflanzt haben. Alles, was aus der Vieh-, Acker- Wiesen- und Gartenwirtschaft anfiel, wurde zumeist für Nahrungszwecke verwendet. Selbst die abfallenden Produkte fanden in der Hauswirtschaft in irgendeiner Form eine Eingliederung. „Hausen“ entstammt vom Haushalten, heute „wohnen“ wir. Müll oder z.B. Kadaververarbeitung existierte früher nicht. Durch die pflegliche Nutzung der Landschaft bekam das Nutzvieh auch vielfältiges Futter verabreicht, wodurch qualitätsvolle Nahrungsmittel entstanden, aus denen gute Speisen bereitet werden konnten. Jüngst meinte ein Koch, unter den heutigen Fütterungsverhältnissen könne man mit dem Fleisch und den Knochen keine gute Suppe zubereiten. Und Ärzte sprechen mittlerweile davon, dass die „Mästung“ der Pflanzen durch die intensive Düngerwirtschaft bis zur Endnutzung der entstehenden Lebensmittel (Getreide, Milch, Käse, Fleisch usf.) aus gesundheitlicher Sicht höchstwahrscheinlich bedenklich seien und die Krebskrankheiten fördern würden.

Vielfalt an Nutzpflanzen

In den Gärten und vor allem in der freien Landschaft sammelte man schon bald nach den Wintern alle möglichen Wildkräuter und gliederte sie in den Speisen ein. Was sollten denn die Leute sonst verwenden, wenn im auslaufenden Winter die Nahrung knapp wurde? Neunerlei- oder Siebenerlei-Kräutersuppen, Fastenkuren oder der Spinat am Gründonnerstag sind lediglich die Reste einer Esskultur, wo auf Symbolebene das Wissen der Wildpflanzenküche versammelt ist. In der Hauptsache verwendete man aufwachsende Pflanzen für Spinate, grüne Soßen und Suppen, als Streckmittel und Beilage zu den Speisen und als Möglichkeit Salate zu kredenzen. Schon bald im Frühling begann man die Jätpflanzen der Gemüsebeete und auch Wildpflanzen zu trocknen, um sie pulverisiert zur Streckung des Salzes beizugeben. Und die Fülle des Wildobstes bereicherte die Vielfalt der Marmeladevariationen unserer Vorratsregale. Neuerdings werden Wildkräuter lediglich als Garnierung verwendet oder aus Gründen der Modeerscheinung über die herkömmlichen Speiserezepte drübergestreut. Zumeist bleiben sie des guten Anstandes halber am Tellerrand liegen, weil es sich nicht gehöre, Unkräuter mitzuessen. Derweilen dienten viele Pflanzenarten in den Vorzeiten vordergründig als Hauptspeise oder heilwirksame Würze. Aus dem aufgehenden Löwenzahn wurde Salat gemacht, aus dem Erdholler oder Giersch Suppe, aus Franzosen- oder Knopfkraut können Suppen, Spinat oder Aufläufe bereitet werden und die frischen Walderdbeeren, welche nach Kahlschlägen in Massen auftreten können, dienten der Aufwertung des Kaiserschmarrens. Die Preiselbeere der Almweiden enthalten schimmelabwendende Benzoesäure, weshalb sie in mehreren Zentimetern als Marmelade auf andere eingefüllt wurde. Auch heißes Wachs diente der Marmeladeabdeckung. Heute verwendet man Chemikalien. Walnussblätter waren in geringen Mengen ab und zu als Speisenwürze verwendet worden, damit über die Hautausdünstungen Stechmücken ferngehalten wurden, oder man rieb sich mit den Blättern die Haut damit ein. Auch Käse fand mit den umhüllenden Blättern eine längere Lagerzeit.

Hungerten sie wirklich?

Die befragten Alten schämten sich, über ihre Ernährungsgewohnheiten zu sprechen, da zu häufig ihre Küche als altmodisch oder „Arme Leute Küche“ diffamiert wurde. Aber von welchen Mitteln sollen unsere Vorgenerationen gelebt haben und vor allem was diente als Nahrung bevor Getreide und die vielen Kulturgemüse-Arten aus dem chinesischen und persischen Raum und später aus Amerika zu uns gebracht wurden? Alle Würzkräuter sind als Heilkräuter zu sehen. Aber Gundelrebe, Spitzwegerich, Wiesen-Bärenklau, -Kerbel, Beifuss, Mädesüß, Taubnessel, Wiesen-Schaumkraut, Giersch und Schafgarbe gibt es im Supermarkt nicht zu kaufen. Unsere Vorfahren wussten alle Pflanzen zu nutzen - im Frühjahr anders als im Sommer, Herbst und Winter, da sich je nach Pflanze der Eiweiß- und Stärke-, Rohfaser- und Wirkstoffgehalt veränderte. Heute sind wir vergleichsweise „Armutschkerl“ und würden bei der Fülle an Nutzungsmöglichkeiten der freien Landschaft verhungern, da das Gebrauchswissen abgekommen ist. Die Einschätzung der Kräuter und darob das konkrete Wissen sind wesentlich, wenn man mithilfe des Kletten- oder Echten Labkrauts Käse herstellen möchte oder mit Echtem Nelkenwurz das Zwetschkenkompott würzt, um sich vorbeugend vor Schlagkrankheiten zu schützen, und kleinwüchsige Schafgarbe- und Wermutarten in Schnaps ansetzt, um bestimmte Verdauungsanreger, Entwurmungs- oder Magenheilmittel zu bekommen.

Wildsammlungen

Vor allem die Wildsammlungen schufen die Basis für das Leben, da die erntbaren Kräuter nicht unmittelbar kultiviert werden mussten. Das Sammeln ist eine hochrentable Tätigkeit. Die Wiesen, Weiden, Böschungen, Bäche und Wegränder bieten unzählige Möglichkeiten der Nutzung von Salaten, Gemüse und Heilpflanzen. Hecken und Waldränder, wie auch Kahlschläge und Auen lieferten im Herbst einen Reichtum an Wildobst und Nussfrüchten. Süßstoffe gewann man aus eigenen Dörrobstarten, indem man sie gut ausreifen ließ und dann durch Einweichen und anschließendes Eindicken die Süße gewann. Dörrobstpulver als Süßungsmittel wäre heute wieder von Interesse. Durch die Einmischung von Baumlaub und Wildkräutern, aber auch veraschte Kräuter und Pilze erwirkte man Salz ersetzende Mittel und Aromastoffe. Viele Pflanzen dienten als Streckmittel zur Überbrückung von Nahrungsengpässen. Die guten Sammelstandorte sind heute entweder verbracht, mit Gehölzen zugewachsen oder überdüngt, weshalb man kaum „Nahrhafte Landschaften“ findet. Und der Käseglocken-Naturschutz trägt zur weiteren Verbrachung - ja man könnte sagen zur Zerstörung - wertvoller und artenreicher Standorte bei.

Die Nahrung ist entstellt

Die modernen Kochgerichte verarmen zunehmend und basieren lediglich auf wenigen Grundnahrungsmitteln wie Getreide, Milch und Fleisch und mit Wasser voll gepumptem und geschmacklosem Gemüse und Obst. Mit exotischen Zusätzen werden heutige Kochgerichte garniert und aufgepäppelt. Die Regale der örtlich größten „Kühlschränke“ - der Supermärkte - sind mit einer scheinbaren Vielfalt gefüllt, die sich eben nur auf diesen Grundnahrungsmitteln gründen. Aber wahrlich ist dies nur eine vorgetäuschte Vielfalt. Die Vorratskammern sind heute noch bei den wenigen echten Bauern voll, da sie alles was verwertbar ist, für den Winter bevorraten. Vergleichsweise ist unsere heutige Küche von der Vielfalt der Pflanzen und ihren Verwendungsmöglichkeiten her geradezu erbärmlich geworden. Die Einheitsgeschmäcker basieren auf den künstlichen Aromaten. Die Fertigpackerl-Suppen, oder besser gesagt Chemie-Cocktails lügen bis die Teller und Mägen erbrechen. Die Einfältigkeit der Nahrung von heute ist ein Resultat von Ignoranz des alten Wissens und ist an den Kosten des überbordenden Gesundheitssystems messbar. In Zeiten, wo auch die grundsätzliche Qualität der Grundnahrungsmittel verloren gegangen ist - zum Großteil auch bei jenen, die mit „Bio-“ deklariert sind - und das Angebot einfältig geworden ist, brach die Zeit der der Geschmacklosigkeiten an.

Gute KöchInnen waren immer gute MedizinerInnen

Die umfassende Einbindung von Wildgemüsearten galt als vielseitig-integriertes Wissen. Nicht aus Jux und Tollerei gliederte man schmackhafte Kräuter in die Speisen ein und auch nicht zum Würzen alleinig, sondern in der Hauptsache als heilwirksame Beigabe einerseits zur besseren Verdaubarkeit, zur Reinhaltung des Blutes oder zur Anregung aller Organe, also aus dem Wohlwollen andauernder Gesundheit. Die Heilkräuter als mineralstoff- und vitaminreiche Pflanzen im Frühjahr sind erst mit der Blüte auch reich an heilwirksamen Inhaltsstoffen, die Wurzelkräuter mit dem Einziehen der oberirdischen Teile hingegen erst im Herbst bedeutsam. Herbe Kräuter regten Bauchspeicheldrüse, Galle und Leber an und waren zudem für den Darm Entwurmungsmittel. Kümmel und Schafgarbe halfen beim Verdauen fetter Speisen und hielten das Blut und die Blutgefäße rein. Mit Wermut, Waldmeister, Heublumen, Ruchgras oder Beifuss war das Fleischfett besser verdaubar und er Fettgeruch gebunden. Der „Braten im Heu“ ist heute eine Wiederentdeckung alter Kochkunst und die Gastwirte verlangen dafür deftige Preise. Der scheinbare Reichtum täuscht von unserer Armut an Wissenszusammenhängen hinweg. Die alten und selten gewordenen Kenntnisse wären hingegen eine Chance für echte gesunde Kost. Unter Kosten ist der Wert und Preis zu verstehen, obwohl nicht alles seinen Wert hat, was auch seinen Preis hat. Die Wildkräuter zu sammeln kostet nicht viel, und man erhält köstliche Kostbarkeiten, die uns obendrein auch gesund erhalten.


Zum Autor Michael Machatschek, lebt dzt. als Bauer und Wanderforscher und in einem Kärntner Bergdorf und beschäftigt sich mit alten Landnutzungsweisen, Landschafts- und Nutzpflanzenkunde, Tierhaltung, Subsistenz etc. wozu er auch Seminare und Vorträge abhält. Erschienene Bücher u.a. mit anderen Autoren: Nahrhafte Landschaft Bd. 1 und 2, Hecken, Laubgeschichten, Alleen.



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