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25 Jahre Artenne
Rede von Hanno Loewy anlässlich der Ausstellungseröffnung „ARTENNE 25“ am 13. September 2019 in der ARTENNE.

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Liebe Hila, lieber Helmut, liebe Sarah,
Liebe Anwesende!

„Es war einmal irgendwo, siebenmal sieben Länder weit und noch weiter, jenseits des großen Meeres, hinter einem alten Herd, in einer Mauerspalte, in der Muhme Rockes siebenundsiebzigster Falte – ein weißer Floh und in dessen Mitte eine prächtige Königsstadt.“

Gyula Ortutay, der diesen ungarischen Märchenanfang überliefert hat, hat vergessen die Adresse dieser Königsstadt zu erwähnen. Die Kirchgasse 6.
Wir sind heute hier um nichts Geringeres zu tun, als ein kleines Wunder zu feiern. Wie im Märchen.

Als die Familie Schlatter sich vor dreißig Jahren entschloss, ein Erbe anzutreten, das aus einem großen und unübersehbar in die Jahre gekommenen Haus und Stall bestand, hatten sie keine Ahnung, auf was für ein Abenteuer sie sich eingelassen hatten. Eine Erbschaft kann ein Abgrund sein, in den man fällt, oder ein Grabungshügel, ein Tel wie es auf Hebräisch heißt, in dem man meistens vor allem das findet, was man nicht erwartet hat. Wenn man wirklich darin gräbt. Es sei denn, man macht es so wie in Tel Aviv, wo man sich damit begnügt hat, von einem mythischen Erbe unter dem Sand zu träumen, und die reale Vergangenheit des Ortes zu vergessen und zur Unkenntlichkeit zu überbauen.

Aber Helmut und Hila haben sich dem Speicher, den sie geerbt haben anders genähert. Mit Neugier und Offenheit und einer unbändigen Lust auf das intellektuelle Abenteuer, dass darin bestehen kann, unsere materielle Kultur von allen Seiten zu betrachten, ohne jede Denkverbote und Tabus. Jedes noch so geringe Objekt als einen eigenen Kosmos zu behandeln, als einen unerschöpflichen Reichtum von möglichen Deutungen.

In der Museumspraxis wird heute viel davon geredet, was Objekte alles erzählen können. Aber Objekte erzählen gar nichts. Wenn sie nicht gerade Roland Albrecht begegnen. Aber dann flunkern sie meistens.
Nein. Wir sind es, die etwas erzählen. Objekte ziehen unsere Phantasien an, wie das Licht die Motten.
Natürlich haben sie eine Geschichte. Sie wurden produziert und genutzt, versteckt und vorgezeigt, in die Ecke gestellt und wieder hervorgeholt. Und im Lauf der Zeit haben sie sich verwandelt. Was einst ein Hergottswinkel gläubiger Menschen war, kann heute eine Familienerinnerung sein, was für den einen eine Besamungspistole ist, kann für den anderen ein seltsames Rätsel sein, ein Alptraum beim letzten Krankenhausaufenthalt, was früher einmal die Morgenzeitung war, kann heute eine staubige Spur antisemitischer Propaganda sein, was einst ein Alltagsgerät einer harten, alle Kräfte verzehrenden Ökonomie im Kampf mit der Natur gewesen sein mag, verziert später das Ambiente einer romantischen Sommerfrische.
Die Geschichte schreibt sich in die Objekte, genauer: wir sind es die sie in die Objekte einschreiben.
Und in dem wir Objekte mit unseren Phantasien in Besitz nehmen, deuten wir uns selbst, unsere Affekte und Beziehungen, unsere Wünsche und erträumten Zugehörigkeiten, unsere Ideen darüber, wer wir sind, als Individuen und als Gemeinschaften.

Am Ende sind die Objekte, die wir vom Speicher herunterholen, oder vom Schicksal der Müllkippe bewahren, die wir manisch als Sammler horten, oder als Restauratoren vom Schmutz der Zeit befreien vor allem eines: Anlass zur Kommunikation.
Indem wir sie ausstellen, reflektieren wir unser eigenes Leben und seine Veränderung. Denken wir nach, wie sich unsere Lebenswelt gestaltet und welche Wünsche wir an sie haben, wie wir zusammenleben wollen, und welchen Raum wir für uns selbst brauchen. Und das heißt auch: eine Idee davon zu haben, vor welchen Problemen wir stehen, in einer Region zwischen scheinbarer ländlicher Idylle und Industriealisierung, zwischen traditionellen Lebensentwürfen und Globalisierung. Also: einen kritischen, unbestechlichen Blick auf diese regionale Lebenswelt zu werfen. Man macht sich damit immer beliebt? Bestimmt nicht. Umso notwendiger ist es.

All das können wir tun, wenn wir den richtigen Raum finden, gestalten und mit Leben erfüllen. Und genau das klingt so einfach und gelingt doch nur so selten.

Als wir, Astrid und ich – vor mehr als 15 Jahren – zum ersten Mal meinen damaligen Kollegen Helmut in seiner Artenne besuchten, war der Zauber des Ortes spürbar, dem man anmerkte, dass jeder Zentimeter eine Neugier atmete. An dem es keine Routine gab, sondern ein fortwährendes Experimentieren mit allen Formen der kulturellen Entdeckung. Eine Neugier darauf, welchen Reichtum an Lebensäußerungen es in dieser Region zu erkunden gibt, wie diese kleine Welt mit der großen zusammenhängt, wie das ganze der Gesellschaft im Mikrokosmos der Region, des Ortes und – ja auch in Haus, Stall und Garten der Kirchgasse 6 sich verdichtet hat.
Ich fange jetzt nicht an, die lange 25jährige, eigentlich 30jährige Geschichte der Artenne zu rekapitulieren. Diese wunderbare, von Sarah gestaltete Ausstellung, tut das eh auf kluge, reflektierte Weise. Für alles, was dieser Ort, war, ist und sein kann, habt ihr schon Begriffe gefunden, die – so schillernd sie sind – schon in ihrer Kürze den Kosmos dieser Königsstadt entfalten. Eine Königsstadt die – nicht dass wir das vergessen – ihren eigenen Himmel hat. Ein guter Ort für Utopien.

Die Artenne ist Speicher und lebendiges Archiv, Ausstellungsort und Kulturzentrum, Resonanzraum (in dieses Wort habe ich mich gleich verliebt), Begegnungsraum, Anregungsraum, Denkraum, regionaler Hotspot und Plattform, materielles Gedächtnis, Wissenskorb und Kulturgütersammlung, Sommerfrische, Kindermalschule, und noch viel mehr. Und ihr habt dabei immer wieder Menschen inspiriert, die sich diese Königsstadt im Walgau nie hätten vorstellen können, bevor sie in der siebenunsiebzigsten Falte dem weißen Floh begegnet sind.
Künstler, Ausstellungsmacher, die vielen Akteure der Tennealen und der Artenne, die ihr mit Eurer Leidenschaft habt anstecken können, die an diesem magischen Ort Überreste in Kunst und Objekte in Ideen verwandelt haben.

Als ihr 2010 das größte Abenteuer gewagt hab, nämlich mit dem Architekten Hansjörg Thum den Umbau des Stallgebäudes in einen multidimensionalen Ausstellungs- und Veranstaltungsraum, seid ihr weit über Eure Grenzen gegangen, habt Euch vorgewagt ohne Netz und doppelten Boden. Und das ist ein Teil dieses Märchens, das hier zu erzählen ist.
Das all das nämlich möglich war, ohne dass jemals die öffentliche Hand, sei es im Land oder im Ort Euch wirklich getragen hätte. Sie hat Euch immer mal wieder ein bissel gefüttert, aber oft – darf ich das hier sagen – eher mit trocken Brot. Jedenfalls wenn man das alles, was hier entstanden ist einmal in Relation setzt. Ich sage es also ganz offen. Wenn es irgendetwas gibt, das ich heute wünsche, an diesem märchenhaften Tag, dann ist es, dass Ihr nach und für all die Wunder, die ihr bewerkstelligt habt, in Zukunft nicht mehr alleine das Risiko tragen müsst. Und wenn ich die Zeichen der Zeit richtig deute, dann ist da auch etwas in Bewegung gekommen. Es wird viel Geld ausgegeben in dieser Welt, und auch in Vorarlberg. Ein bissel mehr sollte in Zukunft auch in der Kirchgasse 6 ankommen.
Aber jetzt lasst uns feiern. Es gibt dazu Grund genug.



Rede Stefania Pitscheider-Soraperra am 20.9.2019










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